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Georg Trakl Büste vor der Georg-Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte am Waagplatz | © Tourismus Salzburg / M. Appesbacher
Schauplätze
Georg Trakl: Leben und Tod eines skandalumwitterten Lyrikers
Am 3. November 1914 stirbt der expressionistische Lyriker Georg Trakl. Er ist 27 Jahre alt. Die Todesursache: eine Überdosis Kokain. Zwei Monate zuvor war er als Militärapotheker an die galizische Front in Gródek, eine Kleinstadt in der heutigen Ukraine, beordert worden. Ohne jegliche medizinische Ausrüstung und völlig auf sich gestellt war er dem Leiden und Sterben dutzender Soldaten hilflos ausgeliefert.
Wer war Georg Trakl?
Geboren 1887 als fünftes Kind von sieben Geschwistern wächst Georg Trakl in der Salzburger Altstadt am Waagplatz auf. Der Vater betreibt erfolgreich eine Eisenwarenhandlung. Die Mutter ist opiumsüchtig, weshalb die Erziehung standesgemäß der französischen Gouvernante Marie Boring anvertraut wird. Ihre Vermittlung französischer Literatur und des katholischen Glaubens wird erheblichen Einfluss auf Trakls späteres Schaffen haben.
Im Alter von 17 Jahren schließt sich der mit Drogen experimentierende Schulabbrecher dem Salzburger Dichterzirkel „Apollo“ an. Sein neues Berufsfeld als Apothekerlehrling erleichtert ihm erheblich den Zugang zu Rauschmitteln. Trakl verbringt seine Zeit oft in Bordellen, meist nur, um mit den Prostituierten zu plaudern. Auch wird ihm eine inzestuöse Beziehung zu seiner vier Jahre jüngeren Schwester Gretl nachgesagt. Fakt ist, dass die beiden ein sehr inniges Verhältnis zueinander hatten. 1910 promoviert er in Wien zum Magister der Pharmazie. Im selben Jahr stirbt der Vater und die Familie gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Georg Trakl bleibt in Wien und tritt den Militärdienst an.
Die Versuche, sich anschließend als Apotheker selbständig zu machen, scheitern. Trakl begibt sich zu seinem großen Förderer Ludwig von Ficker nach Innsbruck. Durch ihn, den Herausgeber der Kunst- und Literaturzeitschrift „Der Brenner“, lernt der junge Trakl die heimische Literatur- und Künstlerszene kennen, unter anderen Karl Kraus, Ludwig Wittgenstein, Adolf Loos oder Oskar Kokoschka. Der Ausbruch des verheerenden Ersten Weltkriegs wird seinem jungen Leben ein Ende setzen.
Club 27
Georg Trakl reiht sich somit in die lange Liste des Club 27 ein. Klubmitglieder sind Künstler:innen, wie Jim Morrison oder Amy Winehouse, die nach exzessivem Lebenswandel letztlich an ihrer Drogenabhängigkeit sterben mussten. Die Zahl bezieht sich auf das Lebensalter zum Zeitpunkt des Todes.
Die Gedichttafeln in Salzburg
Seine Beobachtungen ließ der passionierte Spaziergänger Georg Trakl häufig in seine Gedichte einfließen. Mittels der Gedichttafeln, die an den markantesten Stellen seiner Streifzüge angebracht wurden, können wir uns auf Spurensuche begeben und seine Wahrnehmungen nachempfinden.
Eisenbahnbrücke
Wir beginnen im Stadtteil Elisabeth-Vorstadt an der Eisenbahnbrücke, die über die Salzach führt. Wie kann man sich dieses Gelände zu Trakls Zeiten vorstellen? Das Straßenbild war geprägt von Bahnbauten und der Bahn selbst, mit ihren Werkstätten und Anlagen. Anstelle des heutigen Heizkraftwerks befand sich dort der Salzburger Schlachthof, in dessen unmittelbarer Umgebung die Arbeiterfamilien auf engsten Raum zusammengepfercht in elenden Behausungen wohnten. Trakl beschreibt die Abendstimmung in diesem von Armut und Verwahrlosung betroffenen Viertel bei Föhn. Dieser warme Fallwind tritt heftig auf und löst bei wetterfühligen Personen großes Unbehagen, wie Schwindel, Kopfschmerzen und Nervosität aus. Wahrnehmungsverzerrungen lassen Farben und Geräusche intensiver, Entfernungen geringer und die Umgebung größer erscheinen.
Vorstadt im Föhn (1913)
Am Abend liegt die Stätte öd und braun,
Die Luft von gräulichem Gestank durchzogen.
Das Donnern eines Zugs vom Brückenbogen –
und Spatzen flattern über Busch und Zaun.
Geduckte Hütten, Pfade wirr verstreut,
In Gärten Durcheinander und Bewegung,
Bisweilen schwillt Geheul aus dumpfer Regung,
In einer Kinderschar fliegt rot ein Kleid.
Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor.
In Körben tragen Frauen Eingeweide,
Ein ekelhafter Zug voll Schmutz und Räude.
Kommen sie aus der Dämmerung hervor.
Und ein Kanal speit plötzlich feistes Blut
Vom Schlachthaus in den stillen Fluß hinunter.
Die Föhne färben karge Stauden bunter
Und langsam kriecht die Röte durch die Flut.
Ein Flüstern, das in trübem Schlaf ertrinkt.
Gebilde gaukeln auf aus Wassergräben,
Vielleicht Erinnerung an ein früheres Leben,
Die mit den warmen Winden steigt und sinkt.
Aus Wolken tauchen schimmernde Alleen
Erfüllt von schönen Wägen, kühnen Reitern.
Dann sieht man auch ein Schiff auf Klippen scheitern
Und manchmal rosenfarbene Moscheen.
Christuskirche
Wenn wir die Salzach stadteinwärts entlangspazieren, sehen wir linkerhand bald die evangelische Christuskirche. Unter der Herrschaft der katholischen Fürsterzbischöfe waren die Protestanten aus Salzburg deportiert worden. Sie fassten erst nach der Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts wieder Fuß. 1868 wurde die erste evangelische Kirche erbaut, in der Georg Trakl 19 Jahre später getauft werden sollte. Zweimal wöchentlich erhielt er während der Schulzeit im Pfarrhaus Religionsunterricht und wurde schließlich in dieser Kirche konfirmiert.
Das im Dezember 1913 verfasste Gedicht „Ein Winterabend“ wurde aufgrund seiner ausgeprägt neutestamentarischen Bilder gewählt, die einen Bezug zum Weihnachtsfest denken lassen. Eine tröstliche Lichtquelle eröffnet einem nächtlichen Wanderer die Möglichkeit, die Finsternis hinter sich zu lassen.
Ein Winterabend (1913)
Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.
Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.
Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle. Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.
Mirabellgarten
Unser Spaziergang führt uns weiter in den Mirabellgarten, wo sich Georg Trakl oft und gerne aufhielt. Seine hübsche und gebildete Schwester Hermine wohnte ab 1909 mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Erich von Rauterberg für einige Jahre im Schloss Mirabell. Zu dieser Zeit lebte ihr Bruder bereits in Wien und vermisste aufs Schmerzlichste seine „schöne Stadt“.
Trakl bedient sich hier, wie in so vielen seiner Gedichte, der Ästhetik einer Literaturströmung des 19. Jahrhunderts, des Symbolismus. Durch Verschmelzung der Sinne sollen Wörter in ihrer Universalität erfassbar gemacht werden. Vage durchzucken schemenhafte Schatten die träumerischen Bilder aus Musik, bildender und darstellender Kunst und lassen so den abendlichen Mirabellgarten vor unserem inneren Auge erstehen.
Musik im Mirabell (1912)
Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten.
Bedächtig stille Menschen gehn
Am Abend durch den alten Garten.
Der Ahnen Marmor ist ergraut.
Ein Vogelzug streift in die Weiten.
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.
Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum
Und malet trübe Angstgespenster.
Ein weißer Fremdling tritt ins Haus.
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge.
Die Magd löscht eine Lampe aus,
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.
Heckentheater im Mirabellgarten
Wir bleiben noch in diesem barocken Garten und begeben uns am Springbrunnen vorbei zum Heckentheater, wo uns zunächst ein geometrisch angelegter Irrgarten erwartet. Die Wege durch das Labyrinth führen uns zu einer kleinen Bühne mit Orchestergraben und einem Freiraum für das Publikum.
Wir können das Gedicht Trakls leicht nachvollziehen, sobald wir uns in diesem luftigen Freilichttheater befinden. Der Dichter lässt ein ungetröstetes Kind auftreten, eine vage Erinnerung, die holprig – erkennbar am Versmaß – über die Bühne stolpert.
Naturtheater (1907)
Nun tret’ ich durch die schlanke Pforte!
Verworrner Schritt in den Alleen
Verweht und leiser Hauch der Worte
Von Menschen, die vorübergehn.
Ich steh’ vor einer grünen Bühne!
Fang an, fang wieder an, du Spiel
Verlorner Tage, ohn’ Schuld und Sühne,
Gespensterhaft nur, fremd und kühl!
Zur Melodie der frühen Tage
Seh’ ich da oben mich wiedergehn,
Ein Kind, des leise, vergessene Klage
Ich weinen seh’, fremd meinem Verstehn.
Du staunend Antlitz zum Abend gewendet,
War ich dies einst, das nun weinen mich macht,
Wie deine Gebärden noch ungeendet,
Die stumm und schaudernd deuten zur Nacht.
Engel-Apotheke, Linzergasse 5
Wir verlassen nun den Mirabellgarten, überqueren den Makartplatz und passieren Mozarts Wohnhaus in Richtung Fischer von Erlachs barocker Dreifaltigkeitskirche. Der schmalen Straße rechts folgend gelangen wir in die Linzer Gasse, wo sich die Apotheke „Zum Weißen Engel“ befand. Hier absolvierte Georg Trakl nach seinem Schulabbruch ein dreijähriges Praktikum. Diese Ausbildung ermöglichte ihm einerseits sein späteres Pharmaziestudium in Wien, andererseits den leichten Zugang zu Drogen.
Das Gedicht „Im Dunkel“ mag einen Bezug zum nahen Passionsweg auf den Kapuzinerberg haben, der heute nach Stefan Zweig benannt ist. Abends trifft man hier wohl auf das ein oder andere Liebespaar und so manchen einsamen Spaziergänger.
Im Dunkel (1914)
Es schweigt die Seele den blauen Frühling.
Unter feuchtem Abendgezweig
Sank in Schauern die Stirne den Liebenden.
O das grünende Kreuz. In dunklem Gespräch
Erkannten sich Mann und Weib.
An kahler Mauer
Wandelt mit seinen Gestirnen der Einsame.
Über die mondbeglänzten Wege des Walds
Sank die Wildnis
Vergessener Jagden; Blick der Bläue
Aus verfallenen Felsen bricht.
Mozartplatz
Die Linzer Gasse hinab überqueren wir die Salzach über die Staatsbrücke und begeben uns in die berühmte Getreidegasse. Links führt uns unser Weg in die Verlängerung, die Judengasse, und schließlich auf den Waagplatz, wo Georg Trakl das Licht der Welt erblickte.
An der Hauswand der nunmehrigen „Georg Trakl Forschungs- und Gedenkstätte“ erwartet uns ein fast heiteres und schwungvolles Loblied auf seine Geburtsstadt, das er vielleicht voller Sehnsucht in Wien geschrieben hat.
Die schöne Stadt (1913)
Alte Plätze sonnig schweigen.
Tief in Blau und Gold versponnen
Traumhaft hasten sanfte Nonnen
Unter schwüler Buchen Schweigen.
Aus den braun erhellten Kirchen
Schaun des Todes reine Bilder,
Großer Fürsten schöne Schilder.
Kronen schimmern in den Kirchen.
Rösser tauchen aus dem Brunnen.
Blütenkrallen drohn aus Bäumen.
Knaben spielen wirr von Träumen
Abends leise dort am Brunnen.
Mädchen stehen an den Toren,
Schauen scheu ins farbige Leben.
Ihre feuchten Lippen beben
Und sie warten an den Toren.
Zitternd flattern Glockenklänge,
Marschtakt hallt und Wacherufen.
Fremde lauschen auf den Stufen.
Hoch im Blau sind Orgelklänge.
Helle Instrumente singen.
Durch der Gärten Blätterrahmen
Schwirrt das Lachen schöner Damen.
Leise junge Mütter singen.
Heimlich haucht an blumigen Fenstern
Duft von Weihrauch, Teer und Flieder.
Silbern flimmern müde Lider
Durch die Blumen an den Fenstern.
Friedhof St. Peter
Vom Mozartplatz richten wir unsere Schritte hin zum Dom, überqueren den Domplatz, den daran anschließenden Kapitelplatz und kommen auf den etwas verwunschen wirkenden Friedhof St. Peter. Zu Trakls Zeiten wurden dort keine Begräbnisse vorgenommen. Der Friedhof war dem Verfall preisgegeben.
Der junge Dichter griff hier die Tradition auf, den Tod zu romantisieren. Er verwendete in seiner Beschreibung barocke Stilelemente, die den Widerspruch von blühendem Leben und bleichem Tod veranschaulichen.
St.-Peters-Friedhof (1909)
Ringsum ist Felseneinsamkeit.
Des Todes bleiche Blumen schauern
Auf Gräbern, die im Dunkel trauern -
Doch diese Trauer hat kein Leid.
Der Himmel lächelt still herab
In diesen traumverschlossenen Garten,
Wo stille Pilger seiner warten.
Es wacht das Kreuz auf jedem Grab.
Die Kirche ragt wie ein Gebet
Vor einem Bilde ewiger Gnaden,
Manch Licht brennt unter den Arkaden,
Das stumm für arme Seelen fleht -
Indes die Bäume blüh’n zur Nacht,
Daß sich des Todes Antlitz hülle
In ihrer Schönheit schimmernde Fülle,
Die Tote tiefer träumen macht.
Mönchsberg
Wir überqueren den Friedhof und die beiden darauffolgenden Innenhöfe des Klosters, um in den Toscaninihof zu gelangen. Von hier schlängelt sich die Clemen-Holzmeister-Stiege auf den Mönchsberg. Oben auf der Bastei angekommen, eröffnet sich uns ein bemerkenswerter Blick über das einstige Machtzentrum des Kirchenstaates mit seinen Kuppeln, Türmen und der Festung.
Georg Trakl liebte es, sich auf den Mönchsberg zurückzuziehen. Einsame Pfade durch Wald und Wiese mögen ihm den Stoff und die Inspiration für dieses Gedicht geboten haben.
Am Mönchsberg (1913)
Zweite Fassung
Wo im Schatten herbstlicher Ulmen der verfallene Pfad hinabsinkt,
Ferne den Hütten von Laub, schlafenden Hirten,
Immer folgt dem Wandrer die dunkle Gestalt der Kühle
Über knöchernen Steg, die hyazinthene Stimme des Knaben,
Leise sagend die vergessene Legende des Walds,
Sanfter ein Krankes nun die wilde Klage des Bruders.
Also rührt ein spärliches Grün das Knie des Fremdlings,
Das versteinerte Haupt;
Näher rauscht der blaue Quell die Klage der Frauen.
Hellbrunn
Wandeln wir nun auf den Wegen, die auch Trakl gegangen sein mag, bis zur Richterhöhe! Ein wunderbarer Blick nach Südwesten bietet sich uns, wo wir den Hellbrunner Berg mit dem so genannten Monatsschlössl ausnehmen können. Rund um diesen Berg liegen die mehr als 400 Jahre alten Gartenanlagen und Wasserspiele – ein weiterer Lieblingsplatz unseres jungen Dichters. Das Lustschloss Hellbrunn und die Anlagen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in kaiserlichem Besitz. Wer Zeit hat, sollte es sich auf keinen Fall nehmen lassen, dieses Kleinod zu besuchen. Wir aber grüßen freundlich hinüber und beenden hier unseren Spaziergang.
Der adoleszente Lyriker liebte Hellbrunn und blieb dort oft über Nacht. Wer je in der blauen Stunde seine Blicke auf den kunstvoll angelegten Weihern ruhen lassen konnte, weiß wovon in diesen Versen erzählt wird.
Die drei Teiche (1914)
Zweite Fassung
Hinwandelnd an den schwarzen Mauern
Des Abends, silbern tönt die Leier
Des Orpheus fort im dunklen Weiher
Der Frühling aber tropft in Schauern
Aus dem Gezweig in wilden Schauern
Des Nachtwinds silbern tönt die Leier
Des Orpheus fort im dunklen Weiher
Hinsterbend an ergrünten Mauern.
Ferne leuchten Schloß und Hügel.
Stimmen von Frauen, die längst verstarben
Weben zärtlich und dunkelfarben
Über dem weißen nymphischen Spiegel.
Klagen ihr vergänglich Geschicke
Und der Tag zerfließt im Grünen
Flüstern im Rohr und schweben zurücke -
Eine Drossel scherzt mit ihnen.
Die Wasser schimmern grünlichblau
Und ruhig atmen die Zypressen
Und ihre Schwermut unermessen
Fließt über in das Abendblau.
Tritonen tauchen aus der Flut,
Verfall durchrieselt das Gemäuer
Der Mond hüllt sich in grüne Schleier
Und wandelt langsam auf der Flut.
Ein Spaziergang mit Georg Trakl führt uns auf anderen Wegen durch Salzburg und öffnet die Augen dafür, die Schönheiten auf eine andere, tiefgehende Weise zu betrachten. Mit einer Verneigung danken wir ihm, dem großen Lyriker, der uns dies ermöglicht hat.